Branding-Katastrophen

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Die Rebranding-Falle: Warum Unternehmen immer wieder die gleichen teuren Fehler machen

Von Jaguars umstrittenem Makeover bis zu Dells Identitätskrise – Unternehmensrebranding-Desaster folgen einem deprimierend vorhersehbaren Muster. Warum passiert das immer wieder?

Jeremy Clarkson sagte einmal über das Fahren hinter einem Jaguar XJ: „Man weiss nie, wer den Jaguar XJ vor einem fährt, es könnte der Premierminister oder Hannibal Lecter sein.“ Jaguars waren schon immer elegant, strahlten britisches Flair aus und waren latent geheimnisvoll. Sie waren nie laut, kamen meist in gedeckten Farben wie British Racing Green und waren eng mit dem Vereinigten Königreich verbunden, wie die königlichen Garden oder schottische Burgen. Ja, in den 90er Jahren wurde der grauenhafte X-Type eingeführt (zum Glück nie als Cabrio, was Fahrer vor noch grösserer Scham bewahrte), angeblich um Kunden der BMW 3er-Serie zum Kauf eines Jaguars zu bewegen (Spoiler Alert: Käufer eines 3ers wollten trotzdem einen BMW). In den 2000ern änderte sich die Kundschaft etwas, sie verlangte nach mattschwarzen Felgen und lauteren Motoren. Und der ansonsten brillante Ian Callum liess das XJ-Redesign zumindest vorn ein wenig wie einen Mazda wirken. Doch das massive „Brand Redesign“ von Jaguar Ende 2024 überraschte alle. Jaguar war jetzt woke. Aber vielleicht kam die Message ein bisschen spät. Vielleicht zu spät.

Denn erst vor wenigen Wochen kam die Nachricht still, aber mit lautem Nachhall: Jaguar überprüft sein Kreativkonto bei Accenture Song, nachdem ihr umstrittenes Rebranding massive Kritik ausgelöst hatte. Der Luxusautobauer hatte sein ikonisches „Growler“-Logo gegen ein pseudo-minimalistisches, Art-Deco-ähnliches „J“ eingetauscht, begleitet von abstrakten Visuals und hohlen Slogans wie „Live Vivid“ und „Delete Ordinary“. Die Kampagne erzeugte zwar Aufmerksamkeit – nur nicht die Art, die Luxusautos verkauft. Im April 2025 wurden in Europa 49 Jaguare verkauft. Ja, Du hast richtig gelesen. 49 ist die Zahl. Plötzlich wirkt Maserati der 1990er wie ein Autohersteller für die Massen.

Die Ironie wird noch deutlicher, wenn man die visuellen Entscheidungen betrachtet. Jaguars neues minimalistisches Logo und die „00“-Konzeptfahrzeuge greifen eine Art-Deco-Ästhetik auf: klare Linien, geometrische Formen, modernistische Raffinesse. Doch Art Deco feiert im Kern alles, was die Woke-Bewegung typischerweise ablehnt oder offen hasst: opulente Materialien wie japanischer Lack, Edelsteine wie Marmor oder Smaragd, seltene Lederarten und polierter Stahl oder Messing. Die Le Corbusier Sofas und Sessel, LC1 und LC2, werden mit komplexen Rohrbiegetechniken gefertigt, und Mies van der Rohe’s ikonischer „Barcelona“-Stuhl ist berühmt für seinen filigranen “Kreuzungspunkt”, der das Ganze zusammenhält. Eine Designphilosophie, die auf Luxus, Exklusivität und High-End-Handwerk basiert. Quasi der Inbegriff des Kapitalismus. Jaguar hat es geschafft, eine visuelle Sprache zu übernehmen, die den eigenen erklärten Werten fundamental widerspricht, und so eine Markenidentität zu schaffen, die weder Heritage-Enthusiasten noch progressive Konsumenten zufriedenstellt. Ästhetische Verwirrung, die sich als strategische Vision ausgibt. Überraschung: niemand mag das Ergebnis. Sie hätten für 200 Euro online dieselbe Erkenntnis gewinnen können. Oder war das Rebranding nur ein Akt des Virtue Signaling? So tun als wäre man jetzt ganz besonders modern und gut?

Dies ist kein Einzelfall. Von Cracker Barrels „langweiligen und armseligen“ Logo-Redesign (wie es der Mitbegründer selbst nannte) bis zu Dells Aufgabe jahrzehntelang etablierter Produktnamen wie Latitude und XPS zugunsten von Apple-ähnlichen Bezeichnungen wie „Max“ und „Pro“ – Unternehmensrebranding-Desaster sind fast schon Routine. Laut Reddit-Kommentaren fragen viele Dell-Käufer mittlerweile ein LLM: „Wenn ich ein XPS kaufen möchte, welches Dell-Modell ist das jetzt?“ Die Frage ist nicht, ob diese Misserfolge passieren, sondern warum dieselben fundamentalen Fehler immer wieder gemacht werden. Latte Pro Max? Elektrische Pro Max-Zahnbürste? Besonders da das bestehende Apple-Branding möglicherweise bald ausläuft. Gerüchten zufolge plant Apple nächstes Jahr ein Samsung-Edge-ähnliches Display und auch ein faltbares Smartphone, was Samsung seit fast 10 Jahren verkauft (Edge-Screen) und das faltbare Handy ist nun in der 7. Generation zu haben. Kopiert jetzt Samsung Apple oder Apple Samsung? Immerhin verwendet Samsung nicht auch die Bezeichnung „Pro Max“ – oder war es „Max Pro“? Wer um die Jahrtausendwende im Geschäft war, erinnert sich: damals hiess alles Millennium. Wörtlich alles. Computer, Brücken, Hotels, Windeln. Alles.

Anatomie eines Rebranding-Desasters

Die Jaguar-Fallstudie zeigt die klassische Anatomie eines Rebranding-Fehlschlags. Eine traditionsreiche Luxusmarke, bekannt für kraftvolle, elegante und typisch britische Fahrzeuge, machte plötzlich einen Schwenk, um ein „jüngeres, vielfältigeres Publikum“ anzusprechen. Das Ergebnis? Bestehende Kunden, die sich die Autos leisten konnten, fühlten sich entfremdet, während man eine urbane, progressive Zielgruppe ansprach, die ohnehin nie einen Jaguar kaufen würde. Oder konnte.

Das Muster ist deprimierend vertraut: Unternehmen geben auf, was sie wertvoll macht, um dem zu folgen, was Berater versprechen, sie relevant erscheinen zu lassen.

Systemische Ursachen: Warum passiert das immer wieder

1. Die Consulting-Echokammer

Als Accenture Song beauftragt wurde, Jaguars Image zu modernisieren, schöpften sie wahrscheinlich aus ihrer urbanen, progressiven Kulturblase. Beratungsfirmen verwechseln oft ihre eigenen Werte mit universellen Markttrends. Die Menschen, die das Rebranding für ein 100k–200k Luxusauto gestalten, sind nicht die Käufer, sondern junge Stadtbewohner, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und Autokauf als problematisch ansehen.

2. Das „Bein-Hoch“-Syndrom

Neue CEOs rebranden oft aus demselben Grund, aus dem Hunde ihr Revier markieren: sie brauchen sichtbaren Beweis ihres Einflusses. Rebranding liefert sofort greifbare Ergebnisse für Vorstände und Aktionäre. Man sieht etwas. Beispiel Cracker Barrel: 2023 rebrandete ein neuer CEO gegen Warnungen eines Investors – Beziehungen zu treuen Kunden litten.

3. Der Effekt der neuen Kleider des Kaisers

Niemand wagt es, die Vision des Chefs in Frage zu stellen. Teams erkennen Gefahr, schweigen aber aus Karriere- und Loyalitätsgründen. Gruppendenken floriert.

4. Das Berater-Verantwortungsschild

Prestige-Berater schaffen plausible Entschuldigung: Scheitert das Rebranding, waren selbst Experten falsch; gelingt es, nimmt der CEO den Ruhm.

5. Der „Jüngere-Demografie“-Phantom

Unternehmen fixieren sich auf junge Kunden und verprellen gleichzeitig ihre profitable Stammkundschaft. Jaguars Heritage sprach wohlhabende, traditionsbewusste Fahrer an, doch der Reiz, Millennials und Gen Z zu gewinnen, war stärker.

6. Die Trendfalle

Unternehmenswokeness war der Trend der späten 2010er, und Jaguar – verspätet – versuchte, junge „tugendhafte“ Konsumenten zu überzeugen. Das führte zu einem Bruch zwischen Markenbotschaft und realistischem Markt.

Weitere psychologische Treiber

Quartalsberichte-Theater: Rebranding generiert sofort Aufmerksamkeit, selbst wenn sich das Geschäft nicht verbessert.

Startup-Neid: Alte Unternehmen kopieren junge, agile Startups und verkennen, dass ihr Erbe ein Wettbewerbsvorteil ist.

Metrics-Manipulation: Erfolg wird an Bekanntheit und Social Media Engagement gemessen, nicht an Kundenbindung.

Die wahren Kosten von Rebranding-Desastern

Neben den Kosten für Design und Marketing entstehen:

• Verlust von Kundenloyalität

• Markenkonfusion

• Beschädigte Beziehungen zu Stakeholdern

• Opportunitätskosten

• Langfristige Schädigung der Markenwerte

Jaguar hatte eine starke Produktstory mit drei Elektroautos für 2026, vergrub sie aber unter kultureller Messaging. Substanz wurde zugunsten von Style geopfert – und schlecht gewählt. Ob die Jaguars der jüngeren Geschichte wirklich schön sind und der Marke Rechnung getragen haben ist aber eine andere Story.

Der richtige Weg: Evolution, nicht Revolution

Erfolgreiche Marken entwickeln sich chirurgisch, basierend auf Forschung, statt radikal alles zu ändern. Porsche und Nike zeigen, dass Identität über Generationen relevant bleibt, ohne das Fundament zu verlieren.

Marken werden über Jahrzehnte aufgebaut, können aber in Monaten zerstört werden. Sie sind Vertrauenswerte, keine Modeerscheinungen. Wer sie so behandelt, lernt das auf teure Weise.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Wenn nämlich eine Marke nicht bekannt ist. Dann kann eine Neuorientierung absolut Sinn machen.

Das vorhersehbare Muster

Rebranding-Desaster entstehen aus vorhersehbarer menschlicher Psychologie: Unsicherheit von Führungskräften, Berater-Echokammern, Angst der Mitarbeiter und Reiz schneller Lösungen. Die Lösung: verstehen, wann Evolution sinnvoll ist – und wann Revolution unnötig. Große Marken enthüllen neue Facetten ihrer Identität, ehren Heritage und bleiben gleichzeitig relevant.

Solange Unternehmen diese Unterscheidung nicht begreifen, werden wir weiterhin teure Erinnerungen daran sehen, was passiert, wenn Marken vergessen, wer sie sind.

Während Jaguar seine Beziehung zu Accenture Song überprüft und den nächsten Schritt plant, ist eines klar: Manchmal ist die beste Rebranding-Strategie zu wissen, wann man gar nicht rebranden sollte. If it ain’t broken don’t fix it.